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Konzertkritik - Nürtinger Zeitung - 02.12.08


Pararam pararam vinqo
MoZuluArt entfachten am Sonntag ein afrikanisches Volksfest in der altehrwürdigen Nürtinger Stadtkirche
NÜRTINGEN. 500 Jahre hat die Nürtinger Stadtkirche auf dem Buckel. Aber so etwas wie am Sonntagabend dürfte sie in diesem halben Jahrtausend wohl noch nie erlebt haben: Hunderte von Menschen, die in St. Laurentius mitklatschten, mitsangen und mittanzten, die die Konventionen vergaßen und plötzlich den Quell der Lebensfreude entdeckten, der in ihnen wohnt, fast 600 Zeitgenossen, die einen Abend bejubelten, den sie wohl so schnell nicht vergessen werden. All das hat MoZuluArt mit dem Liebesakt aus europäischer Klassik und afrikanischer Folklore geschafft.

Erste schüchterne Annäherung, schmeichelndes Werben, herzliche Umarmung, impulsive Freude, tosende Leidenschaft bis hin zur Ekstase – all diese Emotionen konnte man an diesem unvergesslichen Abend, den die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Mitsdörffer, Weible und Kollegen möglich gemacht hatte, erleben und mitleben. Weil von den ersten Sekunden des Konzerts an „good vibrations“ durch St. Laurentius wogten. Künstler und Publikum mochten sich vom ersten Moment an, die positiven Schwingungen waren fast mit den Händen greifbar.

Russel McGregor, der Erste Geiger der Wiener Symphoniker, seine Freunde Paula Höchtl, Gejza Jurth und Arne Kirchner (an Violine, Bratsche und Cello) und natürlich der Österreicher Roland Guggenbichler am Piano und die drei Sänger Vussa, Ramadu und Blessings aus Simbabwe (das Quartett mithin, das den Kern von MoZuluArt ausmacht) bewiesen in diesen beiden Stunden, dass das Unvorstellbare keineswegs deckungsgleich mit dem Unmöglichen sein muss.

Sie verbanden nicht nur vermeintlich Unvereinbares, sie ließen es miteinander verschmelzen. Die Formulierung im Passiv trifft den Nagel viel besser auf den Kopf als das Aktiv. Wer Dinge miteinander verschmilzt, der erweckt den Eindruck, als täte er ihnen Gewalt an. Bei MoZuluArt dürfen sich diese musikalischen Welten küssen und ineinandergleiten, ohne dass eine ihre Identität aufgeben müsste. Wie bei zwei Menschen, die sich lieben, ergibt auch bei MoZuluArt eins und eins nicht zwei, sondern eins. Als wäre es nie anders gewesen.

Die Grenzen verschwimmen, es fließt alles wie von selbst ineinander. Und immer wieder fragte man sich an diesem Abend, ob dies nun Mozart à la Zulu oder Zulu à la Mozart war, das da gespielt wurde. Aber letztlich ist das ja unerheblich.

„Weltmusik“: dieser Ausdruck klingt manchmal schrecklich bemüht, weckt Assoziationen an ein Korsett, in das man etwas mühselig zwängen muss, um es präsentieren zu können. Bei MoZuluArt ist das ganz anders: Da spürt man, dass Erste, Zweite, Dritte und wer weiß wie viele weitere Welten im Grunde gar nicht existieren, sondern nur eine Welt. Auch in der Musik.

Dann haben Simbabwer nicht die geringsten Schwierigkeiten, dem guten alten Wolfgang Amadeus neues Leben einzuhauchen, dann entdecken sonst zu zurückhaltende Schwaben ihren Riesenspaß daran, sich in den Schnalzlauten der Ndebele-Sprache schier die Zunge zu brechen und sich dennoch minutenlang euphorisch im „Pararam pararam vinqo“, dem Refrain eines Volkslieds aus dem südlichen Afrika, zu üben, nicht zu verzweifeln, sondern über die eigenen Grenzen von Herzen zu lachen.

Worte können im Grunde genommen nur völlig unzureichend wiedergeben, was dieses unvergleichliche Ensemble ausmacht. Man muss MoZuluArt nicht nur sehen, man muss MoZuluArt mitleben. Und das Schöne daran ist: Man kann das auch. Es braucht im Grunde nur eins: sein Herz zu öffnen. Leider scheint das in der heutigen Zeit unendlich viel zu sein. Doch MoZuluArt zeigten, wie leicht das sein kann. Kinderleicht.

Wenn das Kind im Manne (und der Frau) endlich zu seinem Recht kommt, dann kann man im Grunde gar nicht anders, als aufzuspringen und mitzumachen, sich mitten hineinzubegeben in das rhythmische Klatschen und den Trommelwirbel, völlig die Scheu zu verlieren vor dem Blick des Nachbarn, der ja eventuell vielleicht womöglich theoretisch morgen im Büro oder beim Bäcker erzählen könnte, dass man völlig ausgeflippt ist und einen dadurch der Lächerlichkeit preisgibt. „Was sollen denn die Leute von mir denken?“ Die schwäbische Urangst war vorgestern schlichtweg irrelevant. – Stattdessen prägten fröhliches Lachen, Glücksgefühle diesen Abend, an dem die Endorphine so furios und vielgestaltig durch die Luft wirbelten, wie dies das schönste Feuerwerk nicht zustande brächte. Und dennoch blieb auch Platz für innige Gefühle: Vussas „Blue River“, ein Klagelied über das Morden auf dem Schwarzen Kontinent, ist im Grunde ein Gospel vom Feinsten und erhielt dank der Licht-Regie durch das dunkel drückende Kreuz mit dem mitleidenden Christus und dem hell erleuchteten Himmel des Chors dahinter eine ganz besondere Wirkung.

Die ganz besondere Atmosphäre dieses Ortes spürten auch die Künstler. Dass Mozarts „In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht“ von ihnen noch nie an einem passenderen Ort gespielt wurde, empfanden alle Musiker so. Und sie spielten dieses Stück Mozart wie eine Hymne an das Licht der Hoffnung: Von der Empathie in der und für die Arie aus der „Zauberflöte“ trieben sie die Melodie mit immer schneller werdender Gangart mitten hinein in den Taumel eines Fests in einem afrikanischen Dorf. Und dann sagt einem der eigene Körper: Guggenbichler, Blessings, Ramadu und Vussa haben recht – Mozart muss man sich nicht bäuchlings nähern. Man kann ihn feiern. Nicht auf den erhabenem Podest. Sondern mittendrin. In einem selbst. Dort, wo der Afrikaner im Schwaben nur darauf wartet, das zeigen zu können, was in ihm steckt. Und leider viel zu oft versteckt wird.

Jürgen Gerrmann

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